Händel
Programm
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Glänzender Gärten bezaubernde Pracht Zu Händels Neun
Deutschen Arien
„To talk
German": das soll eine im Englischen geläufige Redewendung sein für
„etwas komplizierter ausdrücken als nötig". Das scheint auch für die
Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts plausibel zu sein. Zwar empfanden
die deutschen Ästhetiker den deutschen Stil als "gemischten" Stil, der
das Beste aus italienischer Melodik und französischer Eleganz mit
deutscher Kunstfertigkeit zu komponieren verstand. Aber nicht nur in der
Fremdwahrnehmung hielt sich der Verdacht, dass diese Assemblage vor
allem durch den deutschen Hang zum Schwierigen und Komplizierten oft
genug hölzern oder gekünstelt geriet. Umgekehrt hatte sich auch Georg
Friedrich Händel zunächst das Vorurteil von der "welschen"
Oberflächlichkeit zu eigen gemacht, bevor er sich am Hofe der Medici in
Florenz zu einem musterhaften Italiener veredelte und als solcher mit
seinen italienischen Opern in London zu europäischer Berühmtheit
gelangte. Was aber vermochte einen wie ihn, „His Majesty's Composer
of the Royal Chapelle", auf einem beispiellosen Höhepunkt seiner
Karriere zu bewegen, mit neun Arien im kleinen, idyllisch-frommen Genre
musikalisch sozusagen deutsch zu sprechen? Wollte er der großstädtischen
High Society in London einmal vorführen, was deutsche Wertarbeit sei?
Wohl kaum: denn das wäre in der schnell-lebigen Event-Kultur dieser
Gesellschaft sicher unbemerkt geblieben. Außerdem zeigen sich die Arien
bei näherem Hinsehen gar nicht so deutsch, wie ihr Titel, der im übrigen
nicht von Händel stammt, vorgibt. Vieles aus diesen Arien findet
musikalisch ein Pendant in Händels Erfolgsopern der frühen 1720er Jahre,
dem Giulio Cesare in Egypto oder dem Tamerlano;
manches lässt sich sogar auf frühere italienische Kammerkantaten
zurückführen. Deutsch an diesen Arien ist also wenn man so will
lediglich die spezifisch Händelsche Mischung der musikalischen Stile und
natürlich die Texte von Barthold Heinrich Brockes, denen der Komponist
seine Musik angepasst hat.
Mit Brockes (1680-1747), einem
offensichtlich leidenschaftlichen Musikliebhaber, verbanden Händel eine
gemeinsame Studienzeit und die Lehrjahre in Hamburg. Dessen
Passionsoratorium Der für die Sünde der Welt gemarterte und
sterbende Jesus hatte Händel 1716 vertont, da vielleicht noch mit
der Absicht, sich dem einflussreichen Senator der Hansestadt für eine
mögliche Anstellung zu empfehlen. Nicht nur stammen die Texte der Arien
aus Brockes Gedicht-Sammlung Das irdische Vergnügen in Gott,
seinem Lebenswerk, das zwischen 1721 und 1748 in 9 Bänden erschien,
sondern fast alles, was wir heute über Händels Deutsche Arien wissen,
ist mit Brockes verbunden. So können wir die Entstehungszeit etwa nur
eingrenzen, weil eine Vorrede zu einem späteren Band der Sammlung
verrät, dass Brockes seine Gedichte 1727 noch einmal - „weil aber der
Welt-berühmte Virtuose, Herr Hendel, dieselben auf eine ganz besondere
Ahrt in die Music gesetzet" - neu gruppiert hat. Merkwürdigerweise
scheint auch der Text in Händels Kompositionsautograph nachträglich und
eigenhändig von Brockes selbst eingetragen worden zu sein. Ob hier der
musikalische Weltmann und der deutsche Gemütsmensch ein gemeinsames
Exempel für eine gelungene Mischung von Kunst und Leben geben wollten?
Oder belegt das Handels rein private Bestimmung der Arien für den Freund
in der Heimat? Ein Gedicht von Brockes bietet jedenfalls ein
einzigartiges Zeugnis der Aufführungspraxis im Familienkreis:
„Die laue Heiterkeit der
Luft, der Mond, wodurch sich Licht und Schatten In solchem schönen
Schmuck erzeugt und überall gebildet hatten, Bewog mich meiner Kinder
Bitten, mich in ein Schiffgen zu begeben, Und auf dem Wasser bey der
Stille zu fahren, nicht zu widerstreben. Wir stiegen denn zusammen ein,
und fuhren, bey so schönem Wetter, In einer angenehmen Stille, die so
gelinde, sanft und süß, Daß sich dadurch in unserm Geist ein sanfter
Eindruck spühren ließ, Und ich mich nicht enthalten könnt, bey meines
Sohnes Flöthe Klingen Der sonst bekannten Arie hieher gehörten Text zu
singen;
Süße Stilk[sanfte Quelle; HWV 205]
Mein
Marianchen, nebst den ändern, sogar mein Mieckchen, das so klein, Die
stimmten mit verschiednen Stimmen dem angestimmten Text mit ein, So
hell, daß Echo wiederschallt."
Der
Landschaftsgarten von Ritzebüttel im Gedicht und die Stimmung in der
Arie „Süße Stille, sanfte Quelle" inszenieren ein musikalisches
Familienidyll, bei dem Frau Brockes dann den Generalbaß auf der Laute
gespielt haben könnte - das konnte sie nach Brockes Autobiographie
nämlich vortrefflich. Händel selbst hat in seinem Autograph keinen
Hinweis auf die Besetzung des Soloinstruments gegeben. Da zu seinen
Lebzeiten auch keine Ausgabe erschienen ist, bleibt die im Gedicht
geschilderte Aufführung einer der Arien mit Männer- und Kinderstimmen
und Flöte das einzige zeitgenössische Zeugnis für die Aufführungspraxis.
Nach dem Vorbild von Handels Sonaten-Sammlungen mag man eine wechselnde
Besetzung mit Traversflöte, Blockflöte, Oboe oder Violine annehmen, aber
in den meisten Arien spricht die Gestaltung des Instrumentalparts für
eine Aufführung mit Violine.
Was in Brockes' Text als romantische
Szene im nachbarocken Gedicht erscheint und so treffend zu der subtilen
Mischung aus eingängiger Einfachheit und feinsinniger Kammermusik in
Händels Arien und Sonaten passt, das lässt sich dann vielleicht doch
auch als deutsch empfinden. Die diesseitige und sinnenbetonte
Naturfrömmigkeit von Brockes Texten schlug einen neuen Ton an, von dem
sich die Komponisten zu einer neuen, natürlichen Musik anregen ließen.
Eben waren Brockes-Kantaten von Georg Philipp Telemann von dem berühmten
Musikkritiker Johann Mattheson prominent und scharf kritisiert worden
für ihre musikalische Ausmalung der geschilderten Naturszenerien, da
nimmt schon Händel mit seinen Arien Stellung zu der angestoßenen
ästhetischen Debatte. Indem er die eigentlich vorgesehenen
detailfreudigen Rezitative nicht vertont, geht er dem Hauptkritikpunkt
einer musikalischen Malerei aus dem Weg, ohne sich jedoch in Gesang und
Begleitung etwa die Gestaltung der spielenden Wellen in der
entsprechenden Arie (HWV 203) zu versagen. Händel, der vielleicht nicht
ohne eine gewisse Sehnsucht aus seinem hektischen Alltag als
Opernmanager auf die beschworene beschauliche Idylle des bescheidenen
Landlebens schaut, weiß natürlich von einer ästhetischen Maxime, die im
18. Jahrhundert die Frage nach Stil und Geschmack bestimmte: das Ideal,
Kunst mit Kunst zu verbergen oder anders gesagt alle Kunstfertigkeit
darauf zu verwenden, die Musik nicht kompliziert und gekünstelt, sondern
selbstverständlich und natürlich klingen zu lassen. Anders als in den
Opern und der erwähnten Passion geht es dabei nicht um die großen
Affekte einer leidenschaftlichen Seele, sondern um sanfte Gestimmtheit,
die sich von den kleinen Freuden in der Natur zum jauchzenden
Schöpfungslob erhebt. Musikalisch ist der Triosatz aus Singstimme,
Melodieinstrument und Bass das Medium für ein Zwiegespräch mit
Betrachter; die Intimität des kleinen Genres ist gewahrt, während der
natürlich fließende dreistimmige Satz die verborgene Kunst, die sich
nicht vordrängt, gewährleistet. Dazu passt vielleicht auch, dass sich
die neun Arien nicht zu einem geschlossenen Zyklus zusammenschließen und
dennoch vielfältige Beziehungen untereinander eröffnen. Der bereits
erwähnte Mattheson hatte für so ein Musikverständnis den Vergleich mit
dem englischen Landschaftsgarten angeführt. Händels Formeln „Meine Seele
hört im Sehen" oder der Erquickung durchs Gehör führen in ihrer
motivischen Prägnanz und ihren immer anders entfalteten Nuancen die
Musiker und die Zuhörer wie absichtslos, wie auf einem Spaziergang durch
„glänzender Gärten bezaubernde Pracht". Die Sätze der beigegebenen
Sonate in F-Dur (HWV 370) erlauben einen Durchblick auf die
kammermusikalische Subtilität der Arien von der Instrumentalmusik aus.
Sie entstammen einem ,op. l, das es bei Händel so nie gegeben hat; es
ist nicht einmal klar, wann und von wem diese wahrscheinlich nicht von
Händel stammende Sonate komponiert worden ist. Auf unserem
Hörspaziergang durch den Landschaftsgarten der Neun Arien mag sie
musikalische Ruheplätze anbieten, die den Zuhörer zum Verweilen und
Nachhorchen einlädt.
Dr. Hansjörg Ewert, Institut für
Musikforschung der Universität Würzburg
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